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Freitag, 07. Januar 2022

Bäume und ihr Alter

Gemessen an einem langen Baumleben, ist das Leben eines Menschen nicht mehr als ein Wimpernschlag. Aber wo stehen die ältesten Bäume der Welt und welche Geschichten hätten sie zu erzählen?


"In Sung ist ein Platz namens Dornhain. Dort gedeih’n Katalpen, Zypressen und Maulbeerbäume. Die Bäume nun, die ein oder zwei Spannen im Umfang haben,  die werden abgehauen von den Leuten, die Stäbe für ihre Hundekäfige wollen. Die drei, vier Fuß im Umfang haben, werden abgehauen von den Vornehmen und reichen Familien,  die Bretter machen für ihre Särge. Die mit sieben, acht Fuß Umfang werden abgehauen von denen, die Balken machen für ihre Luxusvillen. So erreichen sie alle nicht ihrer Jahre Zahl, sondern gehen auf halbem Wege zugrunde durch Säge und Axt. Das ist das Leiden der Brauchbarkeit."

Bertolt Brecht – Der gute Mensch von Sezuan (1943)

Was Brecht hier poetisch scharf beschreibt, führt zu der Tatsache, dass sehr alte Bäume nur dort zu finden sind, wo der Mensch sie nicht braucht, sie nicht finden kann, oder wo er wegen der unwirtlichen Verhältnisse selten oder nie hinkommt.

So stehen die lange Zeit als älteste unter den lebenden Bäumen geltenden "Bristlecone Pines" oder Grannenkiefern (Pinus aristata, seit 1971 wegen ihrer Langlebigkeit auch Pinus longaeva) in den White Mountains, einer 100 km langen und 15 km breiten Bergkette an der kalifornischen Küste am Rande der Sierra Nevada. In dieser ansonsten baumarmen und lebensfeindlichen Gegend finden sich diese knorrigen, nur wenige Meter hohen Kiefern nahe der Baumgrenze auf einer Höhe von 2000 bis 4300 Metern ü. NN. Bei wenig Niederschlag und extremer Windlast wuchsen diese Bäume über fast 5000 Jahre an nur rund 45 Tagen im Jahr. Dass es in dieser klimatischen Gegend kaum holzzersetzende Pilze oder holzverarbeitende Menschen gibt, trägt sicherlich in hohem Maße zum beachtlichen Alter der Rekordhalter bei.

Der älteste unter ihnen wird mit 4723 Jahren Alter angegeben, steht auf einer Höhe von über 3000 m ü. NN und wurde 1958 von Edmund Schulman, einem Wissenschaftler der University of Arizona entdeckt, der ihn "Methuselah" nannte.

Als man einem Geografiestudenten einige Jahre später erlaubt hatte, eine andere, ebenfalls als extrem alt geschätzte Grannenkiefer namens "Prometheus" in dem Gebiet zu fällen, um anhand der Jahresringe Beweise zu liefern, hatte man einen 4862 Jahre alten Baum verloren. Aber wenigstens war man sich jetzt sicher.

Nicht sicher ist man sich bis heute bei den Tamrit-Zypressen im algerischen Tassiligebirge, die man ebenfalls auf rund 5000 Jahre schätzt und bei einer japanischen Sicheltanne auf der Insel Yakushima, der man gut 7000 Jahre zumutet.

Von diesen Rekordhaltern im Bereich lebende Individualbäume sind sogenannte Klonbäume zu unterscheiden, die sich wie folgt beschreiben lassen: manche Bäume, so zum Beispiel Fichten, können sich über ihre Wurzeln, und damit nicht wie häufiger, über ihre Samen vermehren. Durch diese vegetative Fortpflanzung, die im Gegensatz zur geschlechtlichen steht, sind mehrere Generationen von Bäumen mit dem exakt gleichen Erbmaterial möglich, alle aus einem uralten Wurzelwerk entstehend.

Davon entdeckten Forscher für Physische Geographie der schwedischen Universität Umeå im Jahr 2008 ein Exemplar, dessen genetisches Alter auf 9550 Jahre datiert wird. Es handelt sich um eine Gemeine Fichte (Picea abies)  im Nationalpark Fulufjället, die nach dem verstorbenen Hund des federführenden Professors "Old Tjikko" benannt wurde. Wahrscheinlich wuchs der Baum ursprünglich als nahe am Boden kriechende Krummholzformation, um den extremen Witterungsbedingungen standzuhalten. Dann, nachdem das Klima über Jahrtausende um einige Grad wärmer wurde, konnte er sich aufrichten und ist heute etwa fünf Meter hoch. Ausgesprochen unscheinbar – und doch so alt, dass ein Klon von ihm das erste Mal zu wachsen begann, als man in der Jungsteinzeit gerade noch jagte und sammelte, die ersten Häuser zu Siedlungen wurden, die ersten Einbäume auch auf dem Meer unterwegs waren und langsam aber sicher der Ackerbau seinen Siegeszug antrat.

Es gibt zwei wesentliche Methoden zur Feststellung des Alters von Bäumen oder Holz im Allgemeinen: zum einen die Dendrochronologie, zum anderen die Radiokohlenstoffdatierung.

Letztere beruht darauf, dass in abgestorbenen Organismen die Menge an gebundenen radioaktiven 14C-Atomen gemäß dem Zerfallsgesetz abnimmt. Lebende Organismen sind davon nicht betroffen, da sie ständig neuen Kohlenstoff aus der Umwelt aufnehmen, der wieder den normalen Anteil an 14C-Atomen einbringt. Willard Frank Libby hat für die Entwicklung dieser Methode 1960 den Nobelpreis für Chemie bekommen.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Radiokohlenstoffdatierung)

Im Gegensatz zur Radiokarbonmethode kann die Dendrochronologie eine jahrgenaue Datierung liefern und oft werden beide Methoden als sich einander ergänzend angewendet. Diese Jahrringforschung, als deren eigentlicher Begründer der amerikanische Astronom Andrew E. Douglass (1867-1962) gilt, wurde bereits von da Vinci angedacht und überzeugt durch prinzipiell einfache Anwendbarkeit bei gleichzeitig hohem Erkenntnisgewinn. Denn in der Aufeinanderfolge unterschiedlich breiter Jahrringe und auch im Zellwachstum des Holzes, steckt das Wissen über das Leben des Baumes. Vor allem die klimatischen Umstände, unter denen sein Leben verlaufen ist, können von der Wissenschaft wie die Seiten eines Jahrbuches gelesen werden. Je breiter der Jahrring, desto üppiger das Jahr, je schmaler, desto ungünstiger müssen die Bedingungen in diesem Jahr gewesen sein. Die Jahrringe werden unter dem Mikroskop vermessen und das Ergebnis wird mit einer bereits bestehenden Mittelwertkurve, dem sogenannten Jahrringkalender, verglichen. Wenn sich eine Übereinstimmung ergibt, spricht man von der Synchronlage, die es den Forschern ermöglicht das Alter der Probe jahrgenau zu bestimmen.

Aber bei allem menschlichen Erkenntnisstreben bleibt eines sicher: Ob "Methuselah", "Prometheus" oder "Old Tjikko" – keiner dieser erdgeschichtlichen Zeugen hat mehr als ein wohlwollendes Lächeln für unsere Anstrengungen übrig, denn in ihnen tickt eine andere Uhr.

mpr