Der Holzweg nach Rom: Ein Imperium vom Baum aus betrachtet
Eine Geschichte von der Erfindung der Fußbodenheizung, der Malariamücke und antikem Wipfelglück...
Das Römische Reich ist das einzige Imperium der Geschichte, das sich rund um das Mittelmeer erstreckte. So wie das ungefähr 100.000 km lange Straßennetz das Rückgrat des antiken Kolosses war, so war das etwa 2,5 Millionen km² große Binnengewässer zwischen Europa, Asien und Afrika die Drehscheibe der Wirtschafts- und Militärmacht Rom. Nicht zuletzt deshalb spielen seine Errungenschaften auf dem Gebiet des Schiffbaus und seine Eroberungen zur See eine wichtige Rolle in der Geschichte der Seefahrt – und sind ohne den Rohstoff Holz undenkbar. Aber auch die beispiellose städtebauliche Entwicklung der Metropolregion Rom verdankt sich diesem Material, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Holz der wichtigste Energielieferant der Antike war.
Archäologen, Historiker, Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker leiden mitunter an einer Eigenschaft, die auch Roms Holz mit sich bringt: es ist vergänglich. Vorwiegend aus schriftlichen Quellen setzt sich deshalb das Wissen um hölzerne Architekturfinessen, erstaunliche Heizmethoden und Schiffbautechniken in der römischen Marine zusammen. So ist in der Literatur unter anderem die Rede von mehr als 2.000 Eichen für ein einziges Kriegsschiff, Unmengen an Maulbeerfeigenbäumen zur Befestigung der Nildeiche und von Luxus-Bädern, die Platz für gut 2.000 Wellnessgäste boten. Unter den Caracalla-Thermen zum Beispiel arbeiteten Hundertschaften von Sklaven an riesigen, mit Holz befeuerten Öfen, um Wasser und Luft zu erhitzen: Über Tonrohre wurde die heiße Luft in sämtliche Räume geleitet und diente überdies als Fußbodenheizung in den Becken.
Aber auch in den Villen der Reichen wollte man auf die mollige Wärme nicht mehr verzichten, hatte man doch als Wohlbetuchter das Pech, in besonders großen Räumen zu wohnen, die mit den damals üblichen offenen Feuerstellen nur schwer zu beheizen waren. Die Oberschicht packte also die Sanierungswut und jeder, der etwas auf sich hielt, wollte eine von diesen neuen Heizungen: Dabei zirkulierte durch zahlreiche Hohlziegel unter den Böden und in den Wänden warme Luft, die in Öfen erhitzt wurde, welche wiederum außerhalb der Wohnräume mit Holz befeuert wurden - und die Holznachfrage stieg unaufhaltsam. Die Idee hatte laut Vitruv übrigens ein Herr namens C. Sergius Orata, dessen Nachname passenderweise mit "Goldfisch" übersetzt werden kann. Ein solcher war er mit den Einnahmen aus jener kleinen Warmduscher-Revolution über Nacht auch geworden.
Der Untergang dieser Weltmacht ist bis heute ein Gegenstand der Forschung, die neben den inneren Fehlentwicklungen und dem Druck von äußeren Feinden auch immer häufiger den Kahlschlag der Wälder im Mittelmeerraum zum Thema macht. Denn die erste Millionenmetropole der Welt brauchte nicht nur Holz, sondern auch Lebensmittel in rauen Mengen. So trat neben die Abholzung die großflächige ackerbauliche Nutzung, was über Jahrhunderte zu einer erheblichen Erosion und zur Sedimentation von Lehm in den Flusstälern führte. Es bildeten sich feuchtheiße Sümpfe, in denen sich vor allem eine besonders wohl fühlte und rasend schnell vermehrte: die todbringende Anophelesmücke, Überträgerin des Malaria-Fiebers. Nicht zuletzt wegen neuerlicher DNA-Analysen wird davon ausgegangen, dass eine aggressive Epidemie im Rom des 5. Jahrhunderts n. Chr. wütete und die Bevölkerung folgenschwer dezimierte. In der Antwort der Römer auf diese verheerende Seuche schwang aus heutiger Sicht viel Hilflosigkeit und Verzweiflung mit: Sie legten zwischen Rom und den Sümpfen Schweineställe an, um die Fiebermücken "abzufangen" und errichteten Tempel für Febris, die Göttin des Fiebers.
Die Erkenntnisse über den eigentlichen Zusammenhang von Abholzung und Versumpfung, beziehungsweise Verkarstung, haben noch mehr als eineinhalb Jahrtausende auf sich warten lassen: Erst 1713 veröffentlichte der Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) sein Werk "Sylvicultura Oeconomica" und führte in diesem ersten forstwissenschaftlichen Lehrbuch der Welt auch den Begriff der Nachhaltigkeit ein. Die Iberische Halbinsel, Dalmatien, große Teile Großbritanniens und Portugals, aber auch die Lüneburger Heide, die einst ein Eichenwald war, sind Zeugen verschiedenster Epochen, in denen die Seemächte die Wälder ihres Landes für den Schiffbau ausbeuteten. Denn wenn nicht systematisch wieder aufgeforstet wird, fehlt das Wurzelwerk, das die Bodenkrume zusammenhält und das Blattwerk, dass den Boden vor zu starker Sonneneinstrahlung und Austrocknung schützt. Der Regen kann den fruchtbaren Oberboden ungehindert wegspülen und ein unseliger Kreislauf setzt sich in Gang. Verkarstung nennt man das irreversible Ergebnis, dass auch Jahrhunderte später keine Aufforstung mehr zulässt und heute in der Gegend um Rom vor allem auf Satellitenbildern gut zu erkennen ist.
Aber, und das darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, auch im alten Rom gab es Baumschutzmaßnahmen – von weltlicher, und auch göttlicher Natur. Heilige Haine und kaiserliche Forsten wagte der Normalsterbliche aus Angst vor Strafe kaum anzusehen. So finden sich im Libanon steinerne Zeugen von fast zweihundert, in den Fels gemeißelten Verbotstafeln, mit denen Kaiser Hadrian im Jahr 138 n. Chr. klar machte: "Imperator Hadrianus Augustus – definito silvarum arborum genera quattuor, cetera privata" – soll soviel heißen wie: "Kaiser Hadrian Augustus – Grenze der Wälder – vier Arten von Bäumen gehören dem Kaiser – die übrigen sind privat". Denn auch wenn man die Ausmaße der Entwaldung noch nicht kannte, so wusste man als weitsichtiger Herrscher doch, dass der Besitz dieses begehrten, aber langsam nachwachsenden Rohstoffes auf lange Sicht die Macht sicherte – auch die der Nachfolger, denn Hadrian starb noch im selben Jahr. Zu diesem Thema berichtet Livius, dass man den besiegten Makedonen 168 v. Chr. untersagte, Holz für den Schiffbau zu schlagen. Damit hat man die Seemacht an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen.
Und Augustus ließ einst einen General seines Schwiegervaters und Kollegen Antonius auf der griechischen Insel Kos an Ort und Stelle hinrichten, weil er für den Schiffbau heilige Bäume des Asklepios hatte fällen lassen. Denn Asklepois war der Gott der Heilkunst, der im Zweifel über Leben und Tod entschied. In so mancher heiligen Eiche wurde Jupiter verehrt und Apollon glaubte man im Lorbeer, vom Ansehen des Olivenbaumes ganz zu schweigen. Kaiser Caligula liebte die Platanen – aber weniger aus Gottesfurcht, sondern vielmehr aus purer Partylust: Plinius berichtet, dass sich der exzentrische Autokrat bei Velletri in den Albanerbergen ein "Nest" in die Wipfel einer Platane hat bauen lassen, wo er sich mit bis zu fünfzehn Gästen und dem erforderlichen Personal vergnügte, wenn ihm das Feiern auf seinen Prachtschiffen auf dem Nemi-See zu öde wurde.
Die Berichte der römischen Chronisten würden weitere Seiten füllen, aber eines ist auch jetzt schon klar: Roms Bäume hätten viele Geschichten zu erzählen...
mpr