Baum des Jahres 2015: Der Feldahorn
Lecker wie Sauerkraut, robust wie die Großen und gelb wie Gold: Der Gewinner im Porträt
"Willst Du Dich am Ganzen erquicken, so musst Du das Ganze im Kleinsten erblicken."
Johann Wolfgang von Goethe
152 Arten gibt es in der Gattung der Ahörner, darunter mächtige, wie der Berg- oder der Spitzahorn. Aber nicht die Großen und Auffälligen haben sich für das Jahr 2015 den Titel "Baum des Jahres" gesichert, sondern einer der kleinsten: der Feldahorn. Bei den Botanikern heißt der im Durchschnitt nur 15 Meter hohe Baum "Acer campestre", aber die Großmütter kennen ihn noch als Maßholder. Diese althochdeutsche Bezeichnung verrät, dass er einst als "Speisebaum" diente, weil die Blätter früher als Futter oder in Notzeiten auch als Sauerkrautersatz verwendet wurden. Auf der Suche nach vergessenen Rezepten nehmen manche Köche die jungen Frühjahrsblätter des Feldahorns auch heute wieder als Salat auf die Speisekarte.
Nur in Schottland, Irland und Skandinavien geht das nicht, weil es ihm dort nicht warm und hell genug ist. Aber ansonsten hat der Feldahorn ein gewaltiges Ausbreitungsgebiet, dass im Osten bis an den Kaukasus reicht und im Süden fast Afrika berührt. Seine widerstandsfähige, knorrige Art, seine hohe Trockenheits- und Überflutungstoleranz und seine robuste Krankheitsresistenz machen ihn zu einem ehrlichen Feldgehölz, dass nur eines nicht ausstehen kann: Schatten. Deshalb kommt er im Wald so gut wie gar nicht vor, sondern wächst eher an dessen Rand oder auf dem offenen Feld, wo er aus allerlei Buschwerk emporragt und Kleingetier wertvollen Schutz bietet - selbst unter der Erde. Denn das Herzwurzelsystem des Feldahorns ist stark verästelt und reicht bis in einen Meter Tiefe.
Als man irgendwann aufgehört hatte seine Blätter zu essen und sein sehr schweres, hartes Holz zum Beispiel für Schuhnägel zu verwenden, geriet der Feldahorn vielerorts in Vergessenheit. Nicht zuletzt weil seine geringe Stammstärke für die forstliche Nutzung oft nicht ausreicht. Grund genug für die Dr. Silvius Wodarz Stiftung den Feldahorn zum "Baum des Jahres 2015" zu küren und ihm damit neue Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn als Stadt- und Straßenbaum bietet sich diese ozon- und hitzetolerante Ahorn-Art gerade wegen ihres Kleinwuchses gut an. Mit seiner auffallend goldgelben Herbstfärbung kann er in regengrauen Metropolen als natürlicher Farbtupfer dienen und selbst dem strengsten Städter macht es Spaß, sich die Früchte des Ahorns, die sogenannten "Nasenzwicker", auf den Riecher zu setzen. Ferner macht der platzsparende urbane Alleskönner in letzter Zeit als formgeschnittener Zierbaum in den immer kleiner werdenden Gärten und Naherholungsgebieten Karriere.
Durchgesetzt hat sich der unscheinbare Feld-Ahorn bei der 27. Wahl zum "Baum des Jahres" übrigens gegen die Fichte und den Amberbaum, die mit ihm in der engeren Wahl standen. Aber weil davon auszugehen ist, dass derlei PR-Rummel einem Baum der bis zu 600 Jahre alt werden kann reichlich egal ist, bekommt er eine schöne Blondine an die Seite: Frau Claudia Schulze hat sich seiner Sache angenommen und frohlockt: „Dem Feld-Ahorn gilt es als unbeachtete Baumart dieses Jahr gebührenden Respekt zu verschaffen! Ich freue mich, diese Verantwortung als Baumkönigin 2015 übernehmen zu können!" Dann ist ja alles im grünen Bereich.
mpr